Donnerstag, 2. März 2017
Predigtreihe über Hiob – Teil 23: Wie geht man mit einem Schwachen nicht um? (Hiob 30 in Auszügen)
Jesus zeigte ein besonderes Interesse an armen, behinderten und kranken Menschen. Er lud sie zu sich ein und machte sei gesund: »Und die Kunde von ihm erscholl durch ganz Syrien. Und sie brachten zu ihm alle Kranken, mit mancherlei Leiden und Plagen behaftet, Besessene, Mondsüchtige und Gelähmte; und er machte sie gesund. « (Matthäus 4, 24).

Jesus verachtete Arme und Elende nicht. Er sandte sogar seine Jünger aus mit dem ausdrücklichen Befehl »Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt ihr es auch. « (Matthäus 10, 8).

Die Einstellung der Christen zu Menschen in Not war immer von Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft geprägt. So gehören Krankenhäuser, Kinder- und Altenheime, Heilanstalten für Suchtkranke und Rehabilitationszentren zu den ersten Aufgaben, die in der christlichen Mission wahrgenommen werden. Nicht alle Religionen und Kulturen haben so eine positive Einstellung zu kranken, behinderten und schwachen Menschen.

Daran musste ich denken, als ich das Kapitel 30 im Buch Hiob las. Hiob war ja nun einer geworden, den man mit Recht zu den Armen, Kranken, Verachteten und Elenden zählen konnte. Im Kapitel 29 hat er von seinen früheren Erfahrungen als reicher, wohlhabender und geachteter Bürger berichtet.

Jetzt in Kap. 30 beschreibt er seine Position als kranker und verarmter Mann. Er sagt:

(30,9) »Jetzt singen sie ihr Spottlied über mich, ich bin der Redestoff für ihren Klatsch.

(30,10) Sie ekeln sich und rücken von mir ab, sie haben keine Scheu, mich anzuspucken.

(30,11) Ganz schwach und wehrlos hat mich Gott gemacht, drum lassen sie auch jede Hemmung fahren.

(30,12) Nun kommt die Schlangenbrut und greift mich an; sie zwingen mich, die Stellung aufzugeben; sie schütten Dämme auf zum letzten Sturm.

(30,13) Sie haben mir den Fluchtweg abgeschnitten; zu meinem Sturz trägt jeder fleißig bei, sie brauchen dazu keine fremde Hilfe.

(30,14) Sie dringen durch die Breschen meiner Mauer und drängen durch die Trümmer auf mich zu. «

Hier sehen wir die Reaktionen des Pöbels auf seinen elenden Zustand. Hiob muss nicht nur dir Folgen der Armut und die Schmerzen der Krankheit tragen, sondern auch noch die Ablehnung, die Verachtung der Menschen, die ihn umgeben. Und das sind einmal die Reichen und Gesunden, die ihn wegen seiner Krankheit und Schwachheit gering achten; aber vor allem auch die Einfachen, Ungebildeten, Armen, Verkommenen. Es sind Leute, die er früher wegen ihrer Unfähigkeit und Untüchtigkeit nicht einmal als einfachste Arbeiter haben wollte. Sie erlauben es sich jetzt, ihn zu verspotten und anzuspucken.

Diese Typen beschreibt er so:

(30,1) »Jetzt aber verlachen mich, die jünger sind als ich, deren Väter ich nicht wert geachtet hätte, sie zu meinen Hunden bei der Herde zu stellen,

(30,2) deren Stärke ich für nichts hielt, denen die Kraft dahinschwand; Aus der Menschen Mitte werden sie weggetrieben; man schreit ihnen nach wie einem Dieb;

(30,6) an den Hängen der Täler wohnen sie, in den Löchern der Erde und in Steinklüften;

(30,7) zwischen den Büschen schreien sie, und unter den Disteln sammeln sie sich –

(30,8) gottloses Volk und Leute ohne Namen, die man aus dem Lande weggejagt hatte.

(30,9) Jetzt bin ich ihr Spottlied geworden und muss ihnen zum Gerede dienen.

(30,10) Sie verabscheuen mich und halten sich ferne von mir und scheuen sich nicht, vor meinem Angesicht auszuspeien. «

Hier beschreibt Hiob Taugenichtse, Tagediebe, arbeitsscheue Leute, die auf Kosten anderer leben wollen, ohne Moral, verkommen und gottlos. Sie machen sich jetzt über die Leiden des Hiob lustig und verspotten ihn. Das muss sehr weh getan haben. Daher auch die bitteren Worte aus Hiobs Mund.

Das Verhalten dieser gottlosen Spötter brachte mich zu der Frage, wie man eigentlich so einen armen Mann wie Hiob richtig behandeln soll. Wie sollen und können wir ihm begegnen? Oder andersherum: wie wollen wir, dass unsere Mitmenschen auf unsere Not und Hilflosigkeit reagieren sollen?

Dabei sind mir mehrere Möglichkeiten eingefallen, wie der Gesunde mit dem Kranken, der Reiche mit dem Armen, der Erfolgreiche mit dem Verlierer umgehen kann.

Da ist 1.- einmal die Art, von der wir gerade gelesen haben. Wir können dem Unglücklichen mit Spott und Verachtung begegnen. Und das geschieht wohl gar nicht so selten, denn das Sprichwort sagt schon: »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. «

Oft sind kranke Menschen ja auch entstellt, unappetitlich und ekelerregend, so wie Hiob es am Ende des Kapitels selber von sich sagt:
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(30,29) »Mein Schreien klingt, wie wenn Schakale heulen.

(30,30) Geschwärzt ist meine Haut, sie löst sich ab, die Glut des Fiebers brennt in meinen Knochen.

(30,31) Mein Lautenspiel ist Jammerlaut geworden, mein Flötenspiel in Klagelied verwandelt. «

An anderen Stellen in diesem Buch heißt es, dass Hiob voller Geschwüre war, die eiterten und stanken. Dauernd musste er sich mit einer Tonscherbe kratzen. So gibt Hiob schon eine tragisch-komische Figur ab, und wer sich nicht die Mühe macht sich in seine Lage zu versetzen, der findet so eine Erscheinung bestimmt abstoßend.

Ich will nicht sagen, dass die meisten von uns den Armen und Kranken mit Verachtung und Spott begegnen, aber doch, wenn wir Leute sehen, die es nicht geschafft haben, die zurück geblieben sind, dann regt sich oft in uns eine Art Stolz, mit der wir uns über den anderen erheben.

2.- Wir können den Armen und Kranken beschuldigen. Das ist es, was die Freunde Hiobs getan haben. Sie meinten ganz sicher, Hiobs Elend sei eine Folge der Sünde, des Egoismus und der Ausbeutung seiner Arbeiter. Und so ganz abwegig ist dieser Gedanke nicht.

Wir müssen zugeben, dass manch einer durch eigene Schuld ins Verderben gelaufen ist. Nicht immer ist die Umwelt, die Gesellschaft, den Staat, oder gar Gott schuld an der Misere Einzelner oder ganzer Völker. Schon in Sprüche 14, 34 heißt es: »Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben. «

Die Missachtung der Gebote Gottes birgt schon in sich eine Strafe. Wer maßlos isst und trinkt, wird gesundheitliche Schäden erleiden. Wer lügt und stiehlt muss in Angst leben entdeckt zu werden. Wer sich viel streitet macht sich unbeliebt und leidet Schaden ein seinem Ansehen und seiner Gesundheit. Viel Armut in unserem Land und in manchen anderen Ländern ist auf Korruption und eine falsche Grundhaltung zum Leben und den Geboten Gottes gegenüber zurück zu führen.

Nun ist es aber auch verkehrt, alle Krankheit und Armut auf die Sünde des Betroffenen zu schieben. Viele Leute, auch aus ganz gottesfürchtigen Familien wurden schon mit einem Defekt oder Behinderung geboren. Manche sind durch Katastrophen oder Kriege ins Elend geraten, ohne selbst dafür verantwortlich zu sein. Hiob war nicht schuld an seiner Krankheit und Leiden und es war nicht recht, dass seine Freunde ihn mit Kritik und Vorwürfen quälten.

3.- Wir können sozial schwache Personen leicht ausnutzen. Und ohne Frage werden Behinderte oder sonst wie abhängige Leute leicht ausgebeutet oder benachteiligt. Da war doch dieser Mann am Teich Betesda von dem im Johannesevangelium berichtet wird:


(5,5) »Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank.

(5,6) Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?

(5,7) Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.

(5,8) Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! «

Durch seine Lähmung war dieser Mann benachteiligt und das nutzten andere aus. Kranke Menschen können sich nicht so schnell und gewandt bewegen, wie Gesunde. Das kann ein Opportunist leicht ausnutzen und sich dadurch Vorteile verschaffen.

Die Propheten im Alten Testament hatten viel zu sagen zu den reichen Machthabern, die das Elend ihrer Mitbürger dazu nutzten, sich selber zu bereichern. Sie pfändeten skrupellos die Häuser und Kleidungsstücke der Armen, die ihre Schulden nicht zurück zahlen konnten.

Gelegentlich werden auch noch bei uns Behinderten oder Flüchtlingen geringere Löhne für eine Arbeit gezahlt, die so gut sein kann, wie von irgendeinem Gesunden. Das heißt nicht, dass nicht auch starke und normale Menschen ausgenutzt werden können, aber Kranke können sich nicht so leicht wehren.

4.- Ein trauriges Kapitel ist die Liquidierung von Kranken und Behinderten. Im antiken Griechenland hatten die Spartaner ein sehr tüchtiges, weit bekanntes Heer. Das kam zum Teil daher, dass sich alle Jungen einer sehr harten Ausbildung unterziehen mussten. In dieser Gesellschaft hatten schwache und behinderte Bürger wenige Chancen. So erzählt man sich, dass die Eltern von kränklichen Kindern diese beseitigten, indem sie ihre Babys in einen Abgrund warfen.

Ähnliches ist ja auch in der Geschichte unseres deutschen Volkes vorgekommen. Einige Mediziner, Naturwissenschaftler und Ideologen sprachen von »unwürdigem Leben«. Das waren Behinderte oder zurückgebliebene Menschen, die selber nichts zum Wohl der Gesellschaft beitragen konnten, sondern eher eine Belastung waren. Für einige Radikale bedeutete das, dass diese Bürger kein Recht auf Leben hätten und deshalb beseitigt werden müssten. »Euthanasie« nannte man das, was »leichter Tod« oder »gute Tötung« oder «schöner Tod« bedeutet.

Wir finden das heute vielleicht unmöglich, aber wer einmal das Leiden in einem Heim für Sieche oder Schwerstbehinderte gesehen hat, oder einen völlig hilflosen Familienangehörigen hat, der wird auch manche Fragen über Sterbehilfe haben. - Ein anderes Thema in diesem Zusammenhang ist die selbstverantwortete Sterbehilfe oder der Selbstmord. Hier entscheiden sich Todkranke selber, ihrem Leben und Leiden ein Ende zu setzen. Die ganze Problematik der Euthanasie ist ein sehr komplexes Gebiet und birgt viele Gefahren.

Ich glaube, Hiob war selber oft nahe daran, seinem qualvollen Leben ein Ende zu setzen. Jedenfalls verwünschte er den Tag seiner Geburt. Dass er trotz aller Schmerzen und Hoffnungslosigkeit seiner Situation keinen Selbstmord begangen hat, ist ihm hoch anzurechnen.

5.- Schwache, gebrechliche und leidende Menschen töten zu wollen, ist ja nun eher eine Ausnahme. Viel öfter geschieht es aber, dass solche Menschen ignoriert werden. Man schaut einfach weg, wenn man eine behinderte oder entstellte Person sieht.

Der Sohn meines Bruders ist durch einen Unfall spastisch gelähmt und sitzt in einem Rollstuhl. Seine Arme und Beine vollführen oft unkontrollierte Bewegungen. Aufgrund der Gehirnverletzungen und eines Kieferbruches kann er nur sehr undeutlich und langsam sprechen. Er wohnt in einem Heim, wo er voll betreut wird. In dem gleichen Heim sind aber auch noch andere gehirngeschädigte Männer, die sehr entstellt sind und die gar nicht sprechen oder sich mitteilen können. Es ist ein wenig peinlich in die deformierten Gesichter und die stumpfen Augen dieser Menschen zu schauen. Wer nicht unbedingt muss, der geht nicht in solch ein Heim.

Wir möchten gar nicht wissen, wo überall und wie viel Leid auf dieser Welt existiert. Deshalb übersehen wir auch oft die Behinderten, oder verstecken sie und lassen sie nicht an die Öffentlichkeit. Wir ignorieren gerne ihre Existenz und ihre Bedürfnisse.

6.- Wir können die Armen und Kranken bedauern und bemitleiden. In Deutschland und Europa ist in den letzten Jahren, vielleicht nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, eine große Veränderung geschehen. Die Öffentlich ist weitgehend über Kranke und Behinderte aufgeklärt.

Der Humanismus hat unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt, blinde, lahme, geistig behinderte und kranke Mitbürger menschenwürdig zu behandeln. Seitdem sind Behinderte in unserer Gesellschaft akzeptiert. Behinderte arbeiten in Büros, Werkstätten, Fabriken. Es gibt Gehhilfen und elektrische Rollstühle für alte und gehbehinderte Menschen. Es gibt rollstuhlgerechte Auffahrten in Schulen und Behörden, Busse mit einer speziellen Einrichtung und einem Platz für Rollstühle. Die Verkehrsampeln sind akustisch so ausgestattet, dass auch Blinde sicher über die Straße gehen können. Unsere Gesellschaft ist bemüht, die Armen, Kranken und Behinderten wahr zu nehmen und ihnen beizustehen.

Diese positive Einstellung den Schwachen und Kranken gegenüber ist sicherlich auf das christliche Zeugnis in unserem Land zurück zu führen ist. Wenn auch viele Europäer nicht mehr an Jesus und die Bibel glauben, so sind unsere Werte doch noch von christlichem Gedankengut geprägt.

Gott verachtet die Gebrechlichen, die Armen und Kranken nicht, sondern hat Mitleid mit ihnen und nimmt sich ihrer an. Auch ermahnt er seine Nachfolger barmherzig zu sein und den leidenden Mitmenschen zu helfen.

Hiob hat in diesem Buch beschrieben, wie sich eine im Unglück gefangene Person fühlt, wenn sie hart beurteilt, verspottet, verachtet oder ignoriert wird. Ich habe den Verdacht, dass die meisten von uns einmal in eine ähnliche Lage kommen wie Hiob, vielleicht nicht so plötzlich und nicht so extrem, aber mit zunehmendem Alter werden sich auch bei uns Gebrechen, Schmerzen und Krankheiten einstellen. Dann werden wir froh sein, wenn unsere Angehörigen und die Gesellschaft uns mit Respekt, Mitgefühl und Liebe behandeln.

Wir beten:
Herr, hilf uns, eine positive Einstellung zu unserem verletzten, behinderten, kranken und leidenden Mitmenschen zu haben. Hilf uns, ihnen Respekt und Mitleid entgegen zu bringen und ihnen zu helfen, wo und wie immer wir können. Amen.

Rüdiger Klaue

Weitere Predigten von Rüdiger Klaue findest Du unter http://www.rklaue.com/

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