Donnerstag, 23. Februar 2017
Predigtreihe über Amos– Teil 9 (Amos 5, 18 – 27)
Wenn ich am Sonntagmorgen im Gottesdienst sitze, schaue ich mir manchmal die Besucher an. Dann frage ich mich: „Was motiviert die Leute hierher zu kommen? Was erwarten sie vom Gottesdienst? Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Motive recht verschieden sind. Einige haben eine Verantwortung in der Gemeinde übernommen, wie z.B. als Sonntagsschullehrer, als Musiker, Techniker oder Ordner. Bei manchen sind die Gründe nur sehr vage und allgemein, wie z.B. „Das gehört sich so!“ oder „Das ist so meine Gewohnheit, ich habe es von klein auf getan.“ Oder „Der Sonntag ist der Tag des Herrn, da muss man doch zur Kirche gehen.“ Wohl kaum einer wird zum Gottesdienst gehen, weil er eine tolle Predigt erwartet oder weil er sich so auf die Lieder und das Programm freut. –

Ja, einige werden überhaupt kein Motiv nennen können. Sie wissen nicht, warum sie gekommen sind. Und selbst die, die meinen zu wissen, welches ihre Motive waren, sind sich nicht mehr so sicher, wenn sie einmal ehrlich in sich hinein schauen. –

Mit dieser etwas ernüchternden Diagnose will ich nicht sagen, dass die Besucher nicht einen reichen Segen im Gottesdienst empfangen. Am Ende haben ihnen doch die Lieder gefallen, die Predigt hat ihnen etwas zu sagen gehabt und Antworten auf geheime Fragen gegeben. Die andern Gemeindeglieder waren so nett und man hat eine schöne Gemeinschaft gehabt. Beim Verlassen der Kirche sagt man sich: „Nächsten Sonntag gehe ich hier wieder hin.“ –

Ich hoffe, dass die Versammlung auch wirklich ein „Gottesdienst“ war, eine Stunde der intensiven Beschäftigung mit Gott, seinem Wesen, seinen Taten und seinen Lehren. Dann können wir auch annehmen, dass Gott sich darüber gefreut hat. Manche Sonntagsmorgenversammlungen sind aber nicht das, was sie sein sollen, und Gott ärgert sich darüber.

Das passierte auch in Israel zur Zeit des Propheten Amos. Es ist der gleiche Abschnitt, den ich letzte Woche las, heute möchte ich aber einen anderen Gesichtspunkt betonen.

Der Bibeltext:

(5,18) „Weh euch, die ihr den Tag herbeisehnt, an dem der Herr eingreift! Was erwartet ihr denn von diesem Tag? Finsternis wird er euch bringen und nicht Licht!

(5,19) Es wird euch ergehen wie dem Mann, der vor einem Löwen davonläuft und auf einen Bären trifft, und wenn er glücklich das Haus erreicht hat und sich an die Wand lehnt, beißt ihn eine Schlange.

(5,20) Der Tag des Herrn bringt Finsternis und nicht Licht, ein schwarzer Tag ist er; auch nicht einen Schimmer von Hoffnung lässt er euch.

(5,21) Der Herr sagt: »Ich hasse eure Feste und kann eure Feiern nicht ausstehen.

(5,22) Eure Brandopfer und Speiseopfer sind mir zuwider; das gemästete Vieh, das ihr für das Opfermahl schlachtet, kann ich nicht mehr sehen.

(5,23) Hört auf mit dem Geplärr eurer Lieder! Euer Harfengeklimper ist mir lästig!

(5,24) Sorgt lieber dafür, dass jeder zu seinem Recht kommt! Recht und Gerechtigkeit sollen das Land erfüllen wie ein Strom, der nie austrocknet.

(5,25) Habe ich von euch Israeliten während der vierzig Wüstenjahre vielleicht Mahlopfer und Speiseopfer verlangt?

(5,26) Habt ihr damals schon die Götzenbilder eures Himmelskönigs Sakkut und eures Sterngottes Kewan herumgetragen, wie ihr es jetzt tut?

(5,27) Ihr könnt euch darauf verlassen: Ich werde euch in die Verbannung führen, noch über Damaskus hinaus.« Das sagt der Herr, der Gott der ganzen Welt.

Hier erfahren wir also, wie Gott über die Feste und die Opfer der Israeliten denkt. Eigentlich taten die Israeliten nichts Verkehrtes. Sie übertraten damit keine Gesetze, sie unterließen auch nichts, was ihnen befohlen worden war. Sie waren nicht ungehorsam, vielmehr taten sie alles, was Gott von ihnen verlangte. Wie kann es sein, dass Gott so zornig über diese Zeremonien war? Können wir sicher sein, dass Gott nicht manchmal genau so über unsere Gottesdienste denkt?

Gott war also gar nicht zufrieden mit den Feiern, den Opfern und Zeremonien der israelitischen Gottesdienste. Was ihn daran offensichtlich störte war nicht der äußere Ablauf, die Tradition – das war ja alles gesetzlich geregelt - sondern die Einstellung, die innere Haltung, die Motive mit denen die Leute zum Tempel kamen. Wir hatten gesehen, dass im Land Unrecht, Ausbeutung, Korruption und Gewalt herrschten. Das waren alles Dinge, die nicht hätten sein sollen. Gott hatte sie verboten. Doch das Volk war ungehorsam, wollte nichts von Gott wissen. Aber am Sonntag (bzw. Samstag) kamen sie zusammen, um ihre traditionellen Gottesdienste zu feiern. Das war ein Widerspruch. Es war ein Hohn. Ihre Gesänge waren Heuchelei, ihre Opfer Unsinn, denn sie glaubten gar nicht an den Gott, dem sie diese Opfer brachten.

Gottesdienste und Opfer waren etwas, was Gott selber angeordnet hatte. Er hatte sogar viele Einzelheiten in den Opfergesetzes im 3. Buch Mose festlegen lassen.

Die ursprüngliche Absicht mit den Ritualen im Tempel war eine mehrfache:
1.- konnten die Israeliten auf diese Weise Gemeinschaft mit Gott haben. Der Herr wohnte im Tempel mitten unter dem Volk. Dort wartete er, dass die Menschen mit ihren Freuden und Sorgen, mit ihren Sünden und Bitten zu ihm kämen. Der Gottesdienst war eine Gelegenheit der Begegnung mit Gott.

2.- Durch den Gottesdienst, von dem ein wichtiger Teil die Opfer waren, konnten die Menschen Gott ihre Dankbarkeit zeigen. Es gab besonders in der frühen Geschichte des Volkes viele Anlässe zur Dankbarkeit. Da war die Errettung aus der Gefangenschaft in Ägypten, die wunderbare Führung durch die Wüste, die Siege bei der Eroberung des Landes Kanaan und viele kleine, alltägliche Dinge. Der Gottesdienst ist immer eine gute Gelegenheit, dem Schöpfer, Erhalter und Erlöser zu danken.

3.- Durch den Gottesdienst konnten die Menschen ihr Gewissen von Schuld reinigen. Die Opfertiere, die getötet und verbrannt wurden, trugen ja stellvertretend die Strafe für die Sünden der Menschen. Das Bekenntnis der Schuld und das symbolhafte opfern eines Tieres hatten bestimmt auch eine wichtige therapeutische Wirkung für den Einzelnen und für das ganze Volk. Sicher würden wir auch heute viel weniger Psychologen und Medikamente brauchen, wenn die Menschen Gottes Angebot der Vergebung annehmen würden. Im Gottesdienst, in der Gemeinde, ist ein guter Platz, um sein Gewissen zu reinigen und Frieden mit Gott und den Mitmenschen zu finden.

4.- Im Gottesdienst war die Möglichkeit, Gelübde zu machen und zu erfüllen. Es war den Menschen schon immer eine Hilfe, wenn sie gewisse Entschlüsse oder guten Vorsätze in ihrem Leben mit einem Versprechen, einem Gelübde festmachen konnten. Hier, in der Gegenwart Gottes, wurden die Gelübde geheiligt und befestigt.

5.- Im Tempel, durch die Rituale, Symbole, Lesungen und Gesänge fand auch immer Belehrung statt. Die Besucher wurden an Gottes Taten, Pläne, Absichten und an sein Wesen erinnert. In unseren heutigen, christlichen Gottesdiensten ist dieser Aspekt der Belehrung noch viel stärker betont. Die Predigt, die Bibelauslegung steht in den meisten evangelischen Kirchen im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Wer etwas über Gott erfahren will, wer Fragen und Probleme hat, findet in Gottesdienst und Sonntagsschule einen Ort, wo er sich informieren kann.

Gott selbst hatte den Gottesdienst angeordnet und durch detailierte Gesetze geregelt. Die Feier des Gottesdienstes war eine Gelegenheit, das Gewissen zu reinigen, Sünde abzuladen, Sorgen und Bitten vorzubringen, sich an die Taten Gottes zu erinnern, mit ihm Gemeinschaft zu haben, ihn anzubeten und ihm alle Ehre und Ruhm zu geben. Nun kritisiert Amos diese Gottesdienste mit scharfen, verletzenden Worten. Was war der Grund dafür?

In Amos 5, 21-23 sagt der Herr: »Ich hasse eure Feste und kann eure Feiern nicht ausstehen. Eure Brandopfer und Speiseopfer sind mir zuwider; das gemästete Vieh, das ihr für das Opfermahl schlachtet, kann ich nicht mehr sehen. Hört auf mit dem Geplärr eurer Lieder! Euer Harfengeklimper ist mir lästig!“ –

Irgendetwas war falsch an den Feiern und Gottesdienstes des Volkes. Sie waren eine Beleidigung für Gott geworden, obwohl er sie selber angeordnet hatte. Es sieht so aus, als ob die Opfer und Gottesdienste ihre Bedeutung und ihren Wert verloren hatten. Damit sind sie zum Selbstzweck geworden, und zu einer Beleidigung Gottes, zum Hohn und Spott für alle heiligen Werte.

Es gibt Umstände, durch die Opfer und Feiern zur Ehre Gottes ihre Bedeutung verlieren. Damit schaden sie dem Namen Gottes und des Christentums mehr, als sie nützen. Solche Umstände sind z.B.

1.- Wenn der Mensch gar nicht an Gott glauben will. Geht jemand in den Gottesdienst, aber in seinem Herzen verehrt er andere Götter, dann ist das Gotteslästerung. Amos erinnert die Israeliten an früher wenn er sagt: V. 26 „Habt ihr damals schon die Götzenbilder eures Himmelskönigs Sakkut und eures Sterngottes Kewan herumgetragen, wie ihr es jetzt tut?“ Die Antwort ist „Nein, sie verehrten keine fremden Götter.“ Aber jetzt tun sie es – obwohl Gott gesagt hatte „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Wer heute in die Kirche geht, am Abendmahl teilnimmt, die Lieder singt aber in seinem Herzen eigene, selbst gemachte Götzen verehrt, der heuchelt und beleidigt Gott und die Gemeinde. Man fragt sich, was solch ein Typ in der Kirche zu suchen hat.

2.- Wenn der Mensch bewusst die Gebote Gottes übertritt. Das war ja das Problem in Israel zur Zeit des Amos. Auf der einen Seite besuchten sie die Gottesdienste - auf der anderen Seite übten sie Gewalt und Unrecht. Amos sagt: „Sorgt lieber dafür, dass jeder zu seinem Recht kommt! Recht und Gerechtigkeit sollen das Land erfüllen wie ein Strom, der nie austrocknet.“ - Gerechtigkeit ist Gott lieber als heuchlerische Gottesdienste. Ich kann es ja eigentlich nicht verstehen, wie Gewaltverbrecher, Betrüger, Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt leben und rebellisch sind, wie solche Menschen in eine Kirche gehen können. Man sollte annehmen, wer Böses tun will, macht einen Bogen um jede christliche Versammlung. Aber offenbar ist es für manche kein Problem, den Segen Gottes für ihre Verbrechen zu erflehen.

3.- Gottesdienste und Opfer verlieren ihre Bedeutung, wenn der Mensch falsche Motive hat. Ich glaube, dass war es, was der Prophet so sehr verurteilte: Die falschen Motive bei den Gottesdiensten.

Wenn ich über unseren Gottesdienstbesuch nachdenke, dann fallen mir eine ganze Reihe guter Motive ein, die wir haben sollten. Einige möchte ich nennen.
1.- Dankbarkeit. Wir kommen am Sonntagmorgen zusammen, um Gott zu danken. Wir erkennen, dass Er der Geber aller guten Gaben ist, dass wir Wohlstand und Gesundheit allein ihm zu verdanken haben. Wir bezeugen, dass Gott es gut mit uns meint, dass er uns gnädig ist und uns Vergebung und Erlösung schenkt. Dafür können wir ihm nie genug danken – und die Gemeindeversammlung ist eben ein Ort, wo wir das mit anderen in einem gebührenden Rahmen tun können.

2.- Liebe. Im Gottesdienst, in den Gebeten und Liedern bringen wir nicht nur unsere Dankbarkeit zum Ausdruck sondern auch unsere Liebe zu Gott. Wir sind versammelt, um erneut unsere Bereitschaft zu bekunden, dem Herrn zu folgen, zu gehorchen und zu dienen.

3.- ein anderes gutes Motiv, um Gottesdienste zu besuchen ist die Neugier. Wir wollen etwas lernen. Wir suchen Rat, Lebenshilfe, aber auch Hinweise auf unsere Fehler und Versagen. Wir wollen erfahren, wie Gott über uns denkt und was wir besser machen können. Solch eine Einstellung erfordert Demut, bringt aber sicher gute Resultate für unseren Alltag.

Also, gute Motive für den Gottesdienstbesuch können sein. Dankbarkeit, Liebe, Lernwille – aber auch weniger edle Motive sind sicher akzeptabel. Da ist z.B. auch der Gehorsam: Manch einer feiert den Sonntag mit einem Gottesdienst einfach weil Gott es geboten hat, den Feiertag zu heiligen. Also gehe ich in die Kirche, beschäftige mich Gott, bete, singe und helfe, wo ich gebraucht werde.

4.- ein anderes gutes Motiv, um Gottesdienste zu besuchen ist das Bedürfnis. Es gibt sicher auch Menschen, die ein regelrechtes Bedürfnis haben mit anderen zu feiern, zu singen, zu beten, sich auszutauschen und Gott zu loben. Sie brauchen diese Abgrenzung vom Alltag, diese Neuorientierung und Besinnung auf das Wesentliche.

5.- ein anderes gutes Motiv, um Gottesdienste zu besuchen ist Angst. Ich nehme an, dass sehr viele Menschen aus Angst in die Kirche gehen. Sie fürchten sich vielleicht vor der Strafe Gottes, wenn sie zu Hause bleiben. Sie fürchten sich vor dem Urteil des Pfarrers oder Priesters oder vor der Meinung der Verwandten und Freunde. Manche Gemeindeleiter verstehen es sehr gut, ihre Kirchen dadurch zu füllen, dass sie ihren Gläubigen Angst machen. – Nun ist Angst nicht unbedingt ein schlechtes Motiv um Gott zu gehorchen und ihm zu dienen. Aber es ist wohl auch nicht das Beste.

Neben ausgesprochen edlen und idealen Motiven für den Gottesdienstbesuch gibt es weniger gute - aber immerhin noch saubere und respektable. Dann sehen wir aber auch, dass es falsche oder negative Motive gibt. Das war ja der Fall bei den Israeliten, die Amos im Namen Gottes zurechtweist.

Zu diesen falschen Motiven gehören:
* Gesetzlichkeit. Wir erhoffen uns vielleicht Gnade und Segen, Vergebung und ewiges Leben als Gegenleistung Gottes für unsere Anwesenheit in der Versammlung.

* Ansehen. Dieser Gesichtspunkt verliert in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Aber früher war es doch oft so: wer als anständiger, rechtschaffener Mensch gelten wollte, der ging in die Kirche. Man trug dann die teuersten Kleider und nutzte die Versammlung, um sich in Erinnerung zu bringen und zu zeigen, welcher sozialen Schicht man angehörte.

* Spionage. Die Gemeinde ist sicher auch ein Ort, wo man Informationen sammeln, Meinungen erforschen und Argumente gegen das Christentum sammeln kann. Die Resultate lassen sich dann gut im Kampf gegen die Bibel und die Gläubigen verwenden.

* Manipulation. Wo Menschen versammelt sind, kann man leicht auch Meinung beeinflussen, Parteien bilden, für seine Ideen werben und Macht ausüben. Spaltungen und Machtkämpfe in den Gemeinden zeigen deutlich, dass manch ein freundlicher Gottesdienstbesucher durchaus die Versammlung für seine egoistischen Zwecke missbrauchen möchte.

Aber genug der falschen Motive. Ich möchte nicht über meine Brüder und Schwestern zu Gericht sitzen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es gar nicht so leicht ist, seine wahren Motive zu erkennen. Manchmal glauben wir, dass wir genau wissen, warum wir dieses oder jenes tun. Später vielleicht erkennen wir, dass wir uns getäuscht haben. Trotzdem ist es sicher gut, wenn wir einmal darüber nachdenken, weshalb wir die Gottesdienste besuchen – und ob Gott über uns vielleicht genauso urteilen muss, wie über die Israeliten zur Zeit des Amos.

Wir beten:
Herr, Du kennst unser Herz und unsere Motive. Du reinigst uns und hilfst und zu Recht, wo wir auf Abwegen sind. Wir wollen auch immer wieder unser Herz prüfen und sehen, ob wir Dich wirklich lieben und die Gemeinschaft mit Dir suchen und schätzen. Amen.

Rüdiger Klaue

Weitere Predigten von Rüdiger Klaue findest Du unter http://www.rklaue.com/

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