Darum brauchte man an jenem Stellwerk einen verantwortungsbewussten, absolut verlässlichen Weichensteller, der auch in Ausnahmefällen blitzschnell reagieren konnte. Roberto Perez erfüllte diesen wichtigen Außenstellendienst der Trans-Brasilien-Linie seit acht Jahren. Die Familie wohnte im drei Kilometer entfernten Ort, der abends, nach der Ablösung für Roberto Perez, mit dem Fahrrad schnell erreichbar war. Die Straße verlief eben, wenn sie auch in weitem Bogen die schurgerade Strecke des Schienenwegs umwand.
Vasco, der sechsjährige Sohn Robertos, der Stolz und die Freude der Familie, brachte dem Vater rechtzeitig vor der Engstelle der Kreuzung beider Züge das Mittagessen. Und da die Strecke um diese Zeit stets frei und unbefahren war, wählte er den kürzeren Schienenweg und hopste fröhlich von Schwelle zu Schwelle, den Behälter mit Vaters Mittagessen in der Hand.
Eines Tages hatte sich Vasco verspätet. Der Vater wartete bereits ungeduldig und fürchtete, es könnte etwas passiert sein. Nicht auf der Strecke, die war frei. Und es gab keine Bestimmung, die den Jungen an der Wahl seiner Abkürzung hinderte. Ungeduldig schaute Roberto Perez den Schienenstrang entlang, ob Vasco nicht endlich weit unten sichtbar würde. Aber er ließ auf sich warten. In letzter Minute sah ihn der Vater heran springen. Vielleicht hatte er sich unterwegs wieder aufgehalten, hatte eine Schlange beobachtet, wie schon einmal vor Wochen. Vasco kam näher. Die Zeit drängte. Gleich musste der Eilzug durchkommen, dann kam das Signal und Roberto hatte blitzschnell die Weiche umzustellen, damit der Trans-Brasilien-Schnellzug, der Nord-Süd-Express, nicht aufs falsche Gleis geriet und bei der Einfahrt in den Stadtbahnhof auf den abfahrbereiten Personenzug prallte.
Roberto Perez hörte das Pfeifsignal des Eilzuges und winkte seinem Jungen aufgeregt zu. Vasco sprang schneller und hatte wohl auch die Gefahr erkannt, in die er durch seine Verspätung geraten war. Noch wenige Schwellen und der Junge war am Außenstellwerk. Da passierte das Unglück. Er rutschte von einer Schwelle ab, stürzte, schlug mit dem Kopf gegen die Schiene, das Gefäß mit dem Mittagessen zerbrach. Vasco blieb liegen, war offenbar einen Augenblick besinnungslos, während auf dem Nebengleis der Eilzug vorbeiraste. Im Stellwerk schrillte das Signal.
Roberto musste die Weiche sofort umstellen, um den Schnellzug nicht zu gefährden. Aber da draußen lag sein Junge auf dem Gleis, auf dem der Trans-Brasilien-Schnellzug gleich vorbeirasen würde. Roberto wusste, dass nach dem Handgriff zum Umstellen der Weiche keine Zeit mehr blieb, den Sohn von den Schienen reißen. Die Engstelle wurde zur schrecklichen Falle. Ließ er die Weiche stehen, wie sie stand, war der Junge gerettet. Aber der Schnellzug würde auf dem falschen Gleis mit Volldampf den Stadtbahnhof durchrasen, wo er keinen Halt zu machen hatte. Und der Personenzug stand auf diesem Gleis. Es gab keine andere Möglichkeit, die Weiche musste herumgerissen werden.
Der Express heulte heran. Roberto Perez brach der kalte Schweiß aus. Den Express jetzt noch stoppen zu wollen, war völlig aussichtslos, reiner Wahn. Ihn durch Nichtbetätigung der Weiche auf den Personenzug im Stadtbahnhof prallen zu lassen, war hundertfacher Mord. Aber konnte man von ihm verlangen, dass er den Express durch die Weichenstellung über den eigenen Sohn rasen ließ? Wahnsinn auch das! Roberto glaubte für einen Moment, den Verstand zu verlieren.
Er schrie auf, als er den Griff zur Weichenstellung tat: "Vasco!" Und der Schrei drohte die stickige Enge des kleinen Außenstellwerkes explodieren zu lassen. Der Schlag des Entsetzens elektrisierte den Vater in allen Gliedern, als er den Hebel herunterriss, während der Leib der schwarzen Lok des Expresszuges ins Ungeheuerliche wuchs und wie ein Gespenst vorbeiheulte, zwanzig Wagen nach sich ziehend.
Roberto Perez brach zusammen, nachdem er den Weichenhebel heruntergerissen hatte. Der Express war über den Körper Vascos gerast und entschwand zum Schnittpunkt der Schienenfluchtlinie.
Ein Vater hatte das Leben seines Sohnes geopfert, um das Leben vieler dem Rachen des Todes zu entreißen. Als Roberto Perez nach seinem Zusammenbruch am Weichenhebel erwachte, war er ein alter Mann geworden, der in die Siestastille über dem Land gellende Schreie hörte. Zu dieser Zeit fegte der Express ungehindert durch den Stadtbahnhof dem Süden entgegen.
Zum Weiterdenken:
Auch Gott war bereit, seinen einzigen Sohn Jesus am Kreuz für uns zu opfern, damit wir alle gerettet werden können. Durch den Tod Jesu können wir ewiges Leben haben und noch vielmehr.
Diese Geschichte zeigt, wie sehr ein irdischer Vater innerlich darum ringt, seinen Sohn zu opfern für das Leben anderer. Wie viel hat Gott erlitten, nur wegen meiner und Deiner Schuld? Wie schwer, muss es ihm gefallen sein, etwas über 30 Jahre von seinem Sohn getrennt zu sein und ihn schließlich den Tod eines Verbrechers ertragen zu lassen?
Und Gott war bereit dazu wie Roberto in unserer Geschichte. Roberto kannte die Menschen in den Zügen nicht, aber Gott denkt Dich und mich und aus Liebe zu uns, war er bereit, seinen Sohn zu opfern.
Bist Du auch bereit, dieses Opfer anzunehmen und an IHN zu glauben?
„Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Römer 8, 32)
Liebe Grüße,
Deine Dani