Freitag, 5. April 2013
Der Baum – eine Parabel auf unser Leben
Es war einmal ein Gärtner. Eines Tages nahm er seine Frau bei der Hand und sagte: "Komm, Frau, wir wollen einen Baum pflanzen." Die Frau antwortete: "Wenn Du meinst, mein lieber Mann, dann wollen wir einen Baum pflanzen."

Sie gingen in den Garten und pflanzten einen Baum. Es dauerte nicht lange, da konnte man das erste Grün zart aus der Erde sprießen sehen. Der Baum, der eigentlich noch kein richtiger Baum war, erblickte zum ersten Mal die Sonne. Er fühlte die Wärme ihrer Strahlen auf seinen Blättchen und streckte sich ihnen hoch entgegen. Er begrüßte sie auf seine Weise, ließ sich glücklich beschienen und fand es wunderschön, auf der Welt zu sein und zu wachsen. "Schau," sagte der Gärtner zu seiner Frau, "ist er nicht niedlich unser Baum?"

Der Baum begann größer und höher zu wachsen und reckte sich immer weiter der Sonne entgegen. Er fühlte den Wind und spürte den Regen, genoß die warme und feste Erde um seine Wurzeln und war glücklich.

Und jedes Mal, wenn der Gärtner und seine Frau nach ihm sahen, ihn mit Wasser tränkten und ihn einen schönen Baum nannten, fühlte er sich wohl. Denn da war jemand, der ihn mochte, ihn hegte, pflegte und beschützte. Er wurde lieb gehabt und war nicht allein auf der Welt.

So wuchs er zufrieden vor sich hin und wollte nichts weiter als leben und wachsen, Wind und Regen spüren, Erde und Sonne fühlen, lieb gehabt werden und andere liebzuhaben.

Eines Tages merkt der Baum, daß es besonders schön war, ein wenig nach links zu wachsen, denn von dort schien die Sonne mehr auf seine Blätter. Also wuchs er jetzt ein wenig nach links.

"Schau", sagte der Gärtner zu seiner Frau, "unser Baum wachst schief. Seit wann dürfen Bäume denn schief wachsen, und dazu noch in unserem Garten? Ausgerechnet unser Baum! Bäume dürfen nicht schief wachsen." Seine Frau gab ihm natürlich Recht. "Hol also nun unsere Schere, denn wir wollen unseren Baum gerade schneiden."

Der Baum weinte. Die Menschen, die ihn bisher so lieb gehabt hatten, denen er vertraute, schnitten ihm die Äste ab, die der Sonne am nächsten waren. Er konnte nicht sprechen und deshalb nicht fragen. Er konnte nicht begreifen. Aber sie sagten ja, daß sie ihn lieb hätten und es gut mit ihm meinten. Uns sie sagten, daß ein richtiger Baum gerade wachsen müsse. Er wuchs nicht mehr der Sonne entgegen.

"Ist er nicht brav, unser Baum?", fragte der Gärtner seine Frau. "Sicher, lieber Mann," antwortete sie, "Du hast wie immer Recht. Unser Baum ist ein braver Baum."

Der Baum begann zu verstehen. Wenn er machte, was ihm Spaß und Freude bereitete, dann war er anscheinend ein böser Baum. Er war nur lieb und brav, wenn er tat, was der Gärtner und seine Frau von ihm erwarteten. Also wuchs er jetzt strebsam in die Höhe und gab darauf Acht, nicht mehr schief zu wachsen.

"Sieh dir das an," sagte de Gärtner eines Tages zu seiner Frau, "unser Baum wächst unverschämt schnell in die Höhe. Gehört sich das für einen rechten Baum?" Seine Frau antwortete: "Aber nein, lieber Mann, das gehört sich natürlich nicht. Unser Nachbar meint, daß Bäume bescheiden sein sollten, ihrer wachse auch schön langsam." Der Gärtner lobte seine Frau und sagte, daß sie etwas von Bäumen verstehe. Und dann schickte er sie die Schere holen, um dem Baum die Äste zu stutzen.

Sehr lange, weinte der Baum in dieser Nacht. Warum schnitt man ihm einfach die Äste ab, die dem Gärtner und seiner Frau nicht gefielen?

"Schau her, Frau," sagte der Gärtner, "wir können stolz sein auf unseren Baum." Und seine Frau gab ihm wie immer Recht. Der Baum wurde trotzig. Nun gut, wenn nicht in die Höhe, dann eben in die Breite. Sie würden ja schon sehen wohin sie damit kommen. Schließlich wollte er nur wachsen, Sonne Wind und Erde fühlen, Freude haben und Freude bereiten.

In seinem Inneren spürte er ganz genau, daß es richtig war, in die Breite zu wachsen. Also wuchs er jetzt in die Breite.

"Das ist doch nicht zu fassen." Der Gärtner holt empört die Schere und sagte zu seiner Frau: "Stell Dir vor, unser Baum wächst einfach in die Breite. Das könnte ihm so passen. Das scheint ihm ja geradezu Spaß zu machen. So etwas können wir auf keinen Fall dulden!" Und seine Frau pflichtete Ihm bei: "Das können wir nicht zulassen. Dann müssen wir ihn eben wieder zu recht stutzen."

Der Baum konnte nicht mehr weinen, er hatte keine Tränen mehr. Er hörte auf zu wachsen. Ihm machte das Leben keine rechte Freude mehr. Immerhin, er schien nun dem Gärtner und seiner Frau zu gefallen. Wenn auch alles keine rechte Freude mehr bereitete, so wurde er wenigstens lieb gehabt. So dachte der Baum.

Viele Jahre später kam ein kleines Mädchen mit seinem Vater am Baum vorbei. Er war inzwischen erwachsen geworden, der Gärtner und seine Frau waren stolz auf ihn. Er war ein rechter und anständiger Baum geworden.

Das kleine Mädchen blieb vor ihm stehen. „Papa, findest Du nicht, daß de Baum hier ein bißchen traurig aussieht?“, fragte es. „Ich weiß nicht“, sagte der Vater. „Als ich so klein war wie Du, konnte ich auch sehen, ob ein Baum fröhlich oder traurig ist. Aber heute sehe ich das nicht mehr. Der Baum sieht wirklich ganz traurig aus.“

Das kleine Mädchen sah mitfühlend den Baum an. Den hat bestimmt niemand richtig lieb. „Schau mal, wie ordentlich der gewachsen ist. Ich glaube, der wollte mal ganz anders wachsen, durfte aber nicht. Und deshalb ist er jetzt traurig.“ „Vielleicht“, antwortete der Vater versöhnend. „Aber wer kann schon wachsen wie der will?“ „Warum denn nicht?“, fragte das Mädchen. „Wenn jemand den Baum wirklich lieb hat, dann er ihn auch so wachsen lassen, wie er selber will, oder nicht? Er tut doch niemanden etwas zuleide.“

Erstaunt und schließlich erschrocken blickte der Vater sein Kind an. Dann sagte er: „Weißt Du, keiner darf so wachsen wie er will, weil sonst die anderen merken würden, daß auch sie nicht so gewachsen sind, wie sie eigentlich mal wollten.“ „Das verstehe ich nicht, Papa!“ „Sicher, Kind, das kannst Du noch nicht verstehen. Auch Du bist vielleicht nicht immer so gewachsen, wie Du gerne wolltest. Auch Du durftest nicht.“ „Aber warum denn nicht, Papa? Du hast mich doch lieb und Mama hat mich auch lieb, nicht wahr?“

Der Vater sah sie eine Weile nachdenklich an. „Ja, sagte er dann, sicher haben wir dich lieb.“ Sie gingen langsam weiter und das kleine Mädchen dachte noch lange über dieses Gespräch und den traurigen Baum nach.

Der Baum hatte den beiden aufmerksam zugehört, und auch er dachte noch hinterher, als er sie eigentlich noch lange nicht mehr sehen konnte. Dann begriff der Baum. Und er begann hemmungslos zu weinen.

Markus Ernst

Zum Weiterdenken:

Der Gärtner und seine Frau hatten eine bestimmte Vorstellung von dem Baum, wie er sein sollte, und wie er nicht sein sollte. Und immer wenn der Baum sich in ihren Augen falsch verhielt, beschnitten sie ihn nach ihren Vorstellungen. Dem Baum tat das weh, und er weinte.

Als das kleine Mädchen den Baum sah, fühlte sie mit, als sie merkte, wie sehr der Baum litt. Ihr Vater machte sie darauf aufmerksam, dass es notwendig gewesen war, den Baum zu beschneiden. Aber sie verstand ihren Vater nicht. Sie meinte, wenn man den anderen lieb hat, muss man ihn doch so wachsen lassen, wie er möchte. Er versucht ihr deutlich zu machen, dass gerade weil sie als Eltern die Kleine lieb hatten, es unbedingt wichtig war, ihr nicht alle Freiheiten zu lassen, sondern ihr auch Grenzen zu setzen. Das Mädchen hörte dem Vater zwar zu, aber sie verstand ihn nicht.

Diese Geschichte ist nicht nur eine Parabel bezogen auf die Kindererziehung, Kinder brauchen Freiheiten, um sich zu entwickeln, aber sie brauchen auch Grenzen, um zu verantwortungsvollen Menschen heranzuwachsen, die Geschichte ist auch eine Parabel auf unser Christensein.

Als Christen wollen wir uns weiter entwickeln, wir strecken uns mal in die eine oder in die andere Richtung, so wie es uns gerade gefällt. Und Gott ist wie der Gärtner, der uns beschneidet und uns wieder zurecht rückt.

Aber im Gegensatz zu dem Baum hat Gott uns einen freien Willen geschenkt. Der Gärtner zwang den Baum, und er litt darunter… Gott zwingt uns nicht.

Aber hat einen guten Plan für mein Leben und wenn ich Gott nicht die Freiheiten lasse, mich zu verändern, bin letztlich ich es, die darunter leidet. Gott weiß, was gut für mich ist.

Er beschneidet nicht aus Willkür, wie der Gärtner dem der Baum zu schnell wächst. Gott möchte uns in sein Bild hin formen, damit wir immer mehr zu dem werden, was wir bereits sind: sein Ebenbild.

Lasse ich das zu? Oder weigere ich mich? Will ich zu dem Baum werden, den Gott ihn mir sieht? Oder will ich nur meinen eigenen Willen durchsetzen.

In der Bibel wählt nicht das Bild vom Baum, der beschnitten wird, sondern das Bild vom Ton und vom Töpfer, aber die Aussage bleibt die gleiche:

„Aber nun, HERR, Du bist doch unser Vater! Wir sind Ton, Du bist unser Töpfer, und wir alle sind Deiner Hände Werk“ (Jesaja 64, 7)

„Weh dem, der mit seinem Schöpfer hadert, eine Scherbe unter irdenen Scherben! Spricht denn der Ton zu seinem Töpfer: `Was machst du?´, und sein Werk: Du hast keine Hände!“(Jesaja 45,9)

„`Kann ich nicht ebenso mit euch umgehen, ihr vom Hause Israel, wie dieser Töpfer?´, spricht der HERR. Siehe, wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid auch ihr vom Hause Israel in meiner Hand.“(Jeremia 18, 6)

„Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?“(Römer 9, 21)


Bin ich bereit, zu dem zu werden, zu dem Gott mich bestimmt hat?

Ich möchte Dir und mir Mut dazu machen.

Deine Dani

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