Freitag, 5. April 2013
Der Traum der drei Bäume
Es waren einmal drei kleine Bäume. Sie wuchsen oben auf einem Hügel. Jeder Baum hatte einen besonderen Wunsch, was aus ihm einmal werden sollte, wenn er groß war.

Der erste Baum schaute nachts zum Himmel hinauf und sah all die vielen Sterne, die wie Diamanten funkelten. "Ich wünsche mir, dasss aus meinem Holz einmal eine wunderschöne Schatzkiste gemacht wird. Sie soll mit Gold verziert sein, und viele wertvolle Edelsteine sollen darin liegen. Dann werde ich die schönste Schatzkiste der Welt sein."

Der zweite Baum sah den plätschernden Bach, der sich auf seinem Weg zum Meer durch den Wald schlängelte. "Wenn ich einmal groß bin", träumte er, "soll aus meinem Holz ein gewaltiges Schiff gebaut werden. Ich möchte über weite Meere fahren und im Dienste mächtiger Könige stehen."

Der dritte Baum schaute hinunter ins Tal. Dort wohnten viele Menschen in einer großen Stadt; sie arbeiteten von früh bis spät. "Ich möchte für immer auf diesem Hügel stehen bleiben und ein großer Baum werden", träumte er. "Wenn die Menschen dann zu mir hochschauen, werden sie den Himmel sehen, und sie werden an Gott, den Schöpfer aller Dinge, denken. Deshalb möchte ich der größte Baum der ganzen Welt werden!"

Viele Jahre vergingen. Auf Regen folgte Sonnenschein, und aus den kleinen Bäumen wurden große Bäume. Eines Tages stiegen drei Holzfäller den Hügel herauf. Jeder trug eine blitzende Axt in der Hand.

Der erste Holzfäller schaute sich den ersten Baum an und meinte dann: " Einen so schönen Baum kann ich gut gebrauchen!" Und mit wuchtigen Axthieben fällte er den ersten Baum. "Jetzt machen sie eine schöne Truhe aus mir", freute sich der erste Baum. "Dann werde ich einen wertvollen Schatz aufbewahren."

Der zweite Holzfäller schaute sich den zweiten Baum an und meinte dann: " Einen so starken Baum kann ich gut gebrauchen!" Und mit wuchtigen Axthieben fällte er den zweiten Baum. "Jetzt bauen sie bestimmt ein großes und gewaltiges Schiff aus mir", freute sich der zweite Baum. "Dann werden mächtige Könige mit mir über die Meere fahren!"

Dem dritten Baum wurde angst und bange, als der dritte Holzfäller ihn ansah. Kerzengerade und hoch gewachsen ragte er zum Himmel empor. Doch der Holzfäller überlegte nicht lange und murmelte bloß: "Ich kann jeden Baum gebrauchen." Und mit wuchtigen Axthieben fällte er den dritten Baum.

Der erste Baum jubelte, als der Holzfäller ihn in eine Schreinerwerkstatt brachte. Doch welche Enttäuschung! Der Schreiner nahm das Holz des einst so schönen Baumes und machte daraus eine ganz normale Futterkrippe. Sie wurde nicht vergoldet, und es kamen auch keine Edelsteine hinein. Stattdessen war sie mit Sägemehle bedeckt, und dann wurde sie mit Heu gefüllt - für die Tiere im Stall.

Der zweite Baum lächelte zufrieden, als der Holzfäller ihn zu einem Schiffsbauer brachte. Doch welche Enttäuschung! Es wurde kein stolzes Schiff aus ihm gebaut, sondern nur ein einfaches Fischerboot - viel zu klein und zu schwach, um über große Flüße und Meere zu fahren. Als er fertig war, brachte man das Boot an einen kleinen See, wo ärmliche Fischer Tag für Tag damit zum Fischfang ausfuhren.

Der dritte Baum war traurig, als der Holzfäller ihn zersägte und die dicken Balken in ein Holzlager brachte. "Ich versteh das nicht!" jammerte der Baum, der einst so groß gewesen war. "Ich wollte doch so gern auf dem Hügel stehen und die Menschen an Gott erinnern!"

Viele Tage und Nächte vergingen. Die drei Bäume hatten ihre Träume schon fast vergessen. Doch eines Tages legte eine junge Frau ihr neugeborenes Kind in die Futterkrippe, die aus dem ersten Baum gezimmert worden war. "Ach Maria, hätten wir doch nur eine richtige Wiege für das Kind!" seufzte der Mann. Aber die Frau nahm seine Hand und lächelte, als das goldene Licht der Sterne auf das glatte, derbe Holz fiel. "Aber Josef, diese Krippe ist doch wunderschön", flüsterte sie. Und mit einem Male wusste der Baum, dass er den wertvollsten Schatz der ganzen Welt in ihm lag.

Auch der zweite Baum erlebte eine Überraschung. Eines Abends stieg ein müder Wanderer mit seinen Freunden in das alte Fischerboot. Er legte sich gleich nieder und schlief ein, während das Schiff hinausfuhr auf den See. Doch plötzlich kam ein gewaltiger Sturm auf. Das kleine Boot erzitterte. Es wusste, dass es nicht stark genug war, um so viele Menschen sicher durch Wind und Wellen zu tragen. Schließlich erwachte der Mann. Er stand auf, streckte die Hand aus und befahl dem Wind, sich zu legen. Da verstummte der der Sturm so schnell, wie er gekommen war. Plötzlich wusste der zweite Baum, dass er den König des Himmels und der Erde an Bord trug.

An einem Freitagmorgen schreckte der dritte Baum hoch: Mit einem kräftigen Ruck wurde der Balken aus dem vergessen Holzstapel herausgezogen. Jemand trug ihn mitten durch die laute, aufgeregte Menschenmenge einen Hügel hinauf. Er zuckte zusammen, denn Soldaten nagelten die Hände und Füße eines Mannes an ihm fest. Hässlich und grausam kam er sich vor. Doch als am Sonntagmorgen die Sonne aufging, wusste der dritte Baum mit einem Male, dass sein Traum doch in Erfüllung gegangen war. Das Kreuz, das man aus seinem Holz gefertigt hatte, zeigte den Menschen den Weg zu Gott.

So erfüllte sich der Wunsch der drei Bäume doch noch:

Der erste Baum war tatsächlich zu einer Schatztruhe geworden, die den wertvollsten aller Schätze in sich trug: Gottes Sohn ist einer Krippe zur Welt gekommen.

Der zweite Baum hatte tatsächlich den mächtigsten aller Könige an Bord gehabt: Jesus bewies seine Macht über den Wind und die Wellen.

Und auch der Wunsch des dritten Baumes war in Erfüllung gegangen: Jedes Mal, wenn die Menschen das Kreuz anschauen, erinnern sie sich daran, wie sehr Gott die Menschen liebt.

Und das ist besser, als die schönste Schatzkiste, das stolzeste Schiff oder der größte Baum der Welt zu sein.

Angela E. Hunt

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